Dieser Artikel ist in der eXperimenta erschienen (Ausgabe: Februar 2017)

Fra Angelico: Verkündigung, Fresko, 1437 – 1446, Klostermuseum San Marco, Florenz
Über die zwischen 1437 und 1446 entstandene, im Klostermuseum San Marco in Florenz befindliche Verkündigungsszene von Fra Angelico sagt sein Biograf Giorgio Vasari, das Werk müsse im Paradies geschaffen worden sein und es sei kaum vorstellbar, dass es von der Hand eines Sterblichen stammen könne. Und tatsächlich gibt es ein Zitat von dem um 1396 geborenen und 1455 gestorbenen Dominikanermönch Fra Angelico, in welchem er das Leben auf Erden bloß als konfuses Vorstadium einer makellosen Existenz in der Nachwelt bezeichnet. Vasari, dessen Künstlerbiografien 1550 und in einer leicht veränderten Ausgabe 1568 unter dem Originaltitel Le vite dei più eccellenti architetti, pittori et scultori italiani publiziert wurden, schildert in seiner Vita des Schutzpatrons der christlichen Künstler dessen heiligmäßiges, auf das Himmelsreich ausgerichtete Leben. Darüber hinaus notiert Vasari im Hinblick auf Fra Angelicos tugendhaftes Arbeitsethos, dieses sei von dem Gedanken getragen, dass die himmlischen Heiligen sehr viel schöner seien als die von bösartigem Verlangen beherrschten Sterblichen und dementsprechend auch der Himmel in seiner Vollkommenheit die Erde bei Weitem übertreffe. Der laut Vasari stets untadelig lebende, von Cosimo de´ Medici beauftragte Urheber der Verkündigungsszene im Kloster San Marco habe sich von den Fallstricken der irdischen Existenz befreit und in aller Ruhe für Gottes Ruhm gearbeitet. Wohl aus dem Grund sprach Papst Johannes Paul II. diesen außerordentlichen Künstler der Frührenaissance im Jahr 1982 selig.
Dessen meisterhaftes Fresko atmet in Anbetracht des Arrangements von Engel und Maria noch den Geist der Spätgotik, und erinnert an die Gnadenbilder der Annunziata, möchte man zunächst vermuten. Bei der Betrachtung wird indes umgehend klar, dass Fra Angelico diese Epoche hinter sich lässt, ordnet er Gabriel und die Jungfrau doch diagonal im Raum an und platziert sie in einer das klassische Rinascimento vorwegnehmenden Loggia. Himmelswesen und die von ihm Besuchte befinden sich nicht auf einer Ebene, vielmehr ist der sich mit gekreuzten Armen verneigende Erzengel näher am Betrachter positioniert. Der Schauplatz ist eine in der seinerzeit modernen Zentralperspektive gestaltete, auf zwei Seiten geöffnete Säulenhalle, wobei der Mund des Engels den Fluchtpunkt markiert. Ionische und korinthische Säulen stützen romanische Rundbögen und rahmen die relevanten Teile des Raumes ein. So trennt eine mit dem typischen, aus Akanthusblättern und Voluten bestehenden Kapitell verzierte, korinthische Säule den Bildbereich von Erzengel und Maria. Der Raum kommt ohne weiteren Dekor aus, auch auf die aus vielen Darstellungen der Verkündigung bekannte Taube des Heiligen Geistes, welche den Engel begleitet, wird verzichtet. Maria sitzt in der Haltung der Demut und Ergebenheit mit gekreuzten Armen auf einem hölzernen Schemel ohne Lehne.
Im Lukasevangelium (Lk 1, 26-38) wird das zentrale Mysterium des Christentums, die Menschwerdung Christi durch die Jungfrau Maria, wie folgt geschildert: „Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Joseph verlobt, der aus dem Haus David stammte.“ Maria erschrickt angesichts der Worte, die der Engel mit ihr spricht:„Sei gegrüßt du Begnadete, der Herr ist mit dir.“ Doch der Engel Gabriel beruhigt die Jungfrau: „Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben.“ Als Maria den Engel fragt, wie dies geschehen solle, antwortet dieser: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Denn für Gott ist nichts unmöglich.“ Da erwidert Maria: „Ich bin die Magd des Herrn.“
Fra Angelicos berühmtestes Werk ist reich an Symbolen, so wird der Buchstabe „M“ in der Loggia der Maria etwa in der Architektonik wiedergegeben, während in der Mauer im Bildhintergrund ein winziges Fensterchen zu erkennen ist, ein fenestram crystallinam, welches ein mittelalterliches Attribut Mariens und ihrer unversehrten Jungfräulichkeit darstellt. Der an die Loggia grenzende Garten symbolisiert das Paradies, war Maria doch von ihrer Mutter Anna, der Patronin von Florenz, ohne Erbsünde empfangen worden. Fra Angelico war natürlich mit der Symbolik Mariens als hortus conclusus, verschlossener Paradiesgarten, vertraut, in dem Lilien der Reinheit und rote Rosen der Barmherzigkeit blühen. Im Hohelied (Hld 4,12) heißt es: „Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut, ein verschlossener Garten, ein versiegelter Quell.“ Gabriel begegnet dem Betrachter in einem aus Rosatönen sowie dezent verwendeten Gold komponierten Gewand und vielfarbig gestalteten Flügeln. Sein Blick ist auf Maria gerichtet, wohingegen seine Arme an den Ellenbogen gebeugt und die Hände über der Brust gekreuzt sind. Der Engel gestikuliert in Richtung der von seinem Erscheinen überraschten Jungfrau, die lieblich und unschuldig dargestellt worden ist. Sitzend wendet sich die im typischen Königsblau, dem Sinnbild der Reinheit, Gekleidete Gabriel zu und wiederholt mit ihren Armen die Geste des Besuchers, in ihrem Fall Demut, Ergebenheit und Unterordnung ausdrückend. Am Boden der Loggia findet sich eine den Betrachter ermahnende Inschrift: „Virginis Intacte Cvm Veneris Ante Figvram Preterevndo Cave Ne Sileatvr Ave.“ Die vor das Bild der allzeit Jungfräulichen Tretenden werden aufgefordert, nicht zu vergessen, das Ave Maria zu beten. Auf diese Weise wurden die Mönche daran erinnert, sich in der Betrachtung des Werkes in die Meditation zu versenken, um die geheimnisvolle Menschwerdung Christi zu reflektieren.
Von Fra Angelico, dem Engelsgleichen, heißt es, er habe nie einen Pinsel in die Hand genommen, ohne vorher ein Gebet gesprochen zu haben. Zudem, schreibt Giorgio Vasari, seien ihm stets Tränen über die Wangen geströmt, wenn er ein Kruzifix gemalt habe. Der große Biograf Vasari wird in seinen Künstlerviten aus poetischen Gründen auch einmal übertrieben haben, und dennoch bezeugen die Worte, die er über Fra Angelico verliert, dass der Maler in der Tat ein gottesfürchtiger Mann gewesen sein muss. Nicht nur im Fresko der Verkündigung ist diese Ehrfurcht vor dem transzendentalen Reich spürbar. Hier interpretiert Fra Angelico das größte Mysterium der christlichen Botschaft im Lichte einer intimen, von blasser pastellener Farbigkeit beleuchteten Szene. Vom im Lukasevangelium beschrieben Erschrecken ist bei dieser Maria nichts zu sehen, unterwirft sie sich doch dem Engel Gabriel in einer stillen, feierlichen Gebärde.
Dass Fra Angelico die irdische Existenz als konfuses Vorstadium des paradiesischen Lebens in der Nachwelt betrachtete, lässt Rückschlüsse auf seine Arbeiten zu, die, wie Vasari betont, auf eben jenes bezogen werden müssen. Dem als Guido di Pietro geborenen Maler wird ein genügsamer und bescheidener Charakter attestiert und ein an Gewissheit grenzender Glaube. Seine Arbeitsweise gestaltete sich derart, dass er nie ein zweites Mal Hand an seine Arbeiten legte und sie nicht mehr veränderte. Ein beinahe modern anmutendes Verständnis seiner Kunst schildert Vasari uns in Fra Angelicos Vita, habe dieser doch daran geglaubt, die Gemälde hätten sich selbst geformt, und zwar nach Gottes Willen. Selbst ein zeitgenössischer Maler, wie Gerhard Richter, weist mit dem Zitat „Meine Bilder sind klüger als ich“ darauf hin, dass er „ohne den Glauben an eine höhere Macht oder etwas Unbegreifliches“ nicht leben könne. In diesem Sinne bildet auch Fra Angelico etwas Transzendentales ab, in dem er es in die Formen der christlichen Bildsprache kleidet. Schließlich schwingt in Ausdruck und Haltung seiner Figuren die Glaubensgewissheit einer großen Seele mit, die dem Betrachter ein mystisches Gefühl von Überirdischem vermittelt.