Dieser Artikel ist in der eXperimenta erschienen (Ausgabe: September 2018)

Fugazi während eines Live-Auftritts (Foto: Wikimedia Commons)
„Gossip is the Devil´s radio“, bemerkte George Harrison in Bezug auf die nicht nur in bestimmten Medien grassierende Klatschsucht. Harrison schrieb einen Song zu diesem Thema und bezog damit eine klare Position, welche gut zu diesbezüglichen Statements der Band Fugazi passt. Die legendäre, aus Washington, D.C. stammende, im Punkrock verwurzelte Gruppe formuliert in ihren Texten wiederholt an Harrisons Feststellung erinnernde Aussagen. Im an vergangene Hardcore-Punk-Zeiten gemahnenden, nur anderthalb Minuten dauernden Stück Great Cop setzt sich Fugazi mit einem ähnlichen Themenkomplex auseinander. Es geht nämlich darum, dass jemand unschuldig und offen seine Meinung darlegt, im Rahmen eines Zwiegesprächs. Jedoch trägt der Gesprächspartner das Gehörte sogleich weiter und disqualifiziert sich demnach als Vertrauensperson. „If you can´t trust someone, you can´t speak freely to them. And if you can´t trust them, if they are trying to trip you up, they would probably make a great cop“, erklärt Sänger und Gitarrist Ian MacKaye in einem Interview. Es sei also unmöglich, mit jemandem frei zu sprechen, wenn man dieser Person nicht trauen kann und sie also Interesse daran hat, einen zu Fall zu bringen. Im Booklet zum 1993 erschienenen Album In On The Kill Taker findet sich unter anderem der das oben Erörterte aufgreifende Satz: „Evil communications do corrupt good manners“. Außerdem gehören zum von Filmemacher Jem Cohen gestalteten Artwork die mehrfach wiederholten Worte: „I will not lie“. Diese in kindlicher Schrift niedergeschriebenen Zeilen rufen die Strafarbeit eines Schülers vor das geistige Auge. Ein Lehrer könnte dem Kind zur Bestrafung aufgetragen haben, seine Verfehlung mittels einer repetitiven Niederschrift zu reflektieren.
Fugazi ist eine Band, der es um nichts Geringeres als die Wahrheit und um Aufrichtigkeit geht. Man könnte sagen, die vier Musiker, Ian MacKaye (Gitarre und Gesang), Guy Picciotto (Gitarre und Gesang), Brendan Canty (Drums) und Joe Lally (Bass), haben Prinzipien, aber eine solche Bemerkung würde zu kurz greifen. Der legendäre Status der Gruppe leitet sich von der Vorgängercombo Minor Threat her, einer Anfang der 1980er gegründeten Hardcore-Punk-Formation. Aus deren Stück Straight Edge entstand, von Texter MacKaye ungewollt, die gleichnamige, sich an strikte, oftmals aber auch übertriebene Grundsätze haltende Bewegung. Straight Edge, ein Anti-Drogen-Song, übte eine derartige Faszination auf die Hörer aus, dass sich eine Drogen, Alkohol, Zigaretten und teilweise auch Sex vor der Ehe ablehnende Jugendkultur formierte. Ian MacKaye, der seine mit buddhistischen Regeln zu assoziierende Lebensweise in dem äußerst schnell sowie aggressiv gespielten Song darlegte, wurde, ohne es beabsichtigt zu haben, zum Orientierungspunkt für die Straight-Edge-Kultur.
Auf das Stück Straight Edge angesprochen, gibt MacKaye zu Protokoll, dass dieses von gewissen Leuten missbraucht wurde, deren fundamentalistische Einstellung mit der eigentlichen Botschaft des Songs kollidierte. Im Grunde habe er damit sagen wollen, jedem solle erlaubt werden, sein Leben so zu leben, wie die Person es für richtig hält. Als Kontrapunkt zum von Drogen- und Alkoholmissbrauch geprägten Lebensstil der Punks in den späten 1970ern und frühen 1980ern schrieb MacKaye für seine Band The Teen Idles den in der Szene für Irritationen sorgenden Song I Drink Milk. Und für die aus The Teen Idles entstandene Band Minor Threat textete der 1962 in Washington, D.C. geborene Musiker folgende Verse: „(I) Don´t smoke / Don´t drink / Don´t fuck / At least I can fucking think“. Das Stück Out of Step rief Kontroversen hervor, mutmaßten doch Teile der Hörerschaft, MacKaye habe Verhaltensregeln aufstellen und etwa für den völligen Verzicht auf den Geschlechtsakt plädieren wollen. Er betont indes, keineswegs bloß Maximen aneinandergereiht, sondern nur seine persönliche Lebensart vorgestellt zu haben.
Minor Threat sei eine bedeutende Band gewesen, insbesondere für ihn selbst und sein Leben, so MacKaye weiter, jedoch gehöre die Gruppe in eine Ära, die nicht länger existiere. Der Nostalgie hänge er nicht an, vielmehr sei er überzeugt, dass Musik heutzutage viel wichtiger sei, da man mit ihrer Hilfe ganz konkret etwas bewegen könne. Seit ihrem 2001 veröffentlichten Album The Argument befindet sich Fugazi zwar in einer nicht näher definierten Auszeit, laut Bassist Joe Lally treffe man sich aber, wenn alle Mitglieder in Washington, D.C. seien, um Musik zu spielen. So besteht also Hoffnung, dass doch noch ein weiteres Album der nach einem Akronym aus der Zeit des Vietnam-Kriegs benannten Band erscheinen wird. F.U.G.A.Z.I. bedeutet im Slang der Soldaten: „Fucked Up, Got Ambushed, Zipped In (into a body bag)“. Trotz der Auszeit arbeiten die Musiker an Solo-Projekten oder in anderen Bands. So gründete Ian MacKaye im Herbst 2001 zusammen mit der Mutter seines Kindes, Amy Farina, das Duo The Evens.
Die Lyrics dieser Combo sind, im Vergleich zu Fugazi, direkter, und dennoch kritisch sowie voller Hinweise auf gesellschaftliche Missstände. Im Song Let´s get well, vom 2012 herausgekommenen Album The Odds, besingen MacKaye und seine Partnerin den erwarteten Niedergang der Börsen, auf höchst poetische Weise: „But the birds don’t give a damn about the markets / And the buildings they all come down in time / The truth is always everneath the garden“. The Evens beschreiben eine Art paradiesischen Zustand, einen Garten, in dem die Wahrheit ewiglich vorhanden ist. Den – dort wohnenden – Vögeln seien die Weltmärkte und all die repräsentativen Gebäude egal. Dies ist eine mutige und zugleich anrührende Prognose, welche im vom selben Album stammenden Stück Architects sleep wieder aufgegriffen wird. Hier wird auf die Sünden der Architektur angespielt, und wohl auch auf die Rolle von Architekten beim Bau von Gefängnissen oder Konzentrationslagern. Den Schuldigen wird ein ruhiger Schlaf nicht zugestanden, stehen die Geister der gestorbenen Opfer doch vor ihren Betten und singen: „We stand outside the bedroom door / No more rest, no more rest, no more rest, no more“. Zeilen wie diese, oder auch folgende: „I´ve seen this scene before“, deuten auf eine buddhistisch respektive hinduistisch anmutende Weltsicht der Komponisten hin, denn es wird immer wieder die Wahrheit angepriesen, und diese als ewig gültige dargestellt.
Das Thema aus Fugazis punkigem Song Great Cop wird von The Evens wieder aufgenommen, wenn Ian MacKaye und Amy Farina auf die katastrophalen Zustände auf dem Arbeitsmarkt hinweisen: „People need something to do – they’re getting angry / So the bosses came up with a hell of a plan / Security job for each and every man / More alligators for their boats / Keep them hungry“. Festgestellt wird, dass die Menschen etwas zu tun bräuchten, ansonsten würden sie zornig werden. Diese Tatsache ausnutzend, heuern viele Unternehmen Security-Personal an, Hilfspolizisten, die sich im schlechtesten Fall so benehmen, wie man es von ihnen erwartet. Und tatsächlich macht man im Alltag die Beobachtung, dass solche deputies, wie The Evens sie augenzwinkernd nennen, die öffentlichen Räume mehr und mehr bevölkern. Man sieht sie vor Bekleidungsgeschäften, Diskotheken, Supermärkten, sie kontrollieren vor Konzerten die Taschen der Besucher, sorgen für Sicherheit in Nahverkehrsmitteln. The Evens gefällt diese Entwicklung ganz und gar nicht, fragen sie doch – mit einem kräftigen Schuss Humor – was passierte, wenn jede einzelne Person ein Hilfspolizist wäre: „What if every single person was a deputy?“ Das Duo geht sogar so weit, zu unterstellen, dass die Gefängnisse gefüllt werden müssten und dazu eben Kriminelle benötigt werden. Dieses Problem behandelt das Musiker-Paar in seinem Stück Wanted criminals.
Man fühlt sich an dieser Stelle an das berühmte Zitat von Blaise Pascal erinnert, der einst konstatierte: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ The Evens beherrschen diese Kunst offenbar, singen sie doch in I do myself: „When I run out of things to do / I do myself / Can you stay? / Be still, be silent“.