Der schwarze Engel (Kurzerzählung)

Zu meiner in Bälde erscheinenden Kurzerzählung „Der schwarze Engel“ hat der großartige Künstler Jürgen Fiege eine wunderschöne Illustration mit dem Titel „Das eigene Leben“ angefertigt. Darauf bin ich sehr stolz. Hier die Tuschezeichnung und der Text:

Der schwarze Engel

Vor ihrem geistigen Auge: die in Marmor gemeißelte Hydra. In der Wanne liegend, nimmt Margit eine weitere eiskalte Kopfdusche stoisch hin. In ihren Gedanken hält sie sich fest, an ihrem letzten Kunstwerk, der mehrköpfigen Frauenskulptur. Aber Margits Kunst, einst hochgelobt und vielgepriesen, ist nun unzeitgemäß. In der westfälischen Anstalt gilt sie als Beweis für die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung. Tagelang im lauwarmen Wasserbad, Professor von Hagen ordnet eine weitere Maßnahme an. Im Arztzimmer erfährt Margit von ihrer bevorstehenden Operation. Hohlwangige Kinder mit nachtumwehten Augen begegnen der Bildhauerin auf dem nach Bohnerwachs riechenden Korridor.

Nach dem Ende der Terrorherrschaft kehrt die Künstlerin zurück in ihr zerstörtes Atelier. Zerschlagene Statuetten, zerrissene Skizzen sowie verbogene Werkzeuge liegen auf dem Parkettfußboden. Doch die marmorne Hydra steht stolz und unberührt in der Mitte des Raumes. Margit begrüßt sie mit einer stillen Umarmung, als plötzlich ihr vermisster Gatte eintritt.

Dieter Kutscher, 1952 aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, hat Informationen über Professor von Hagen und Kontakte zum Mossad. Auf eigene Faust reisen die Kutschers nach Peru, geben sich als Touristen aus, besichtigen den Machu Picchu und reisen von Lima aus an der Küste entlang Richtung Bolivien. Von Hagen, Kriegsverbrecher und Doktorvater des Todesengels von Ausschwitz, Josef Mengele, sei über die sogenannte Rattenlinie nach Südamerika entflohen, heißt es. Margit wurde vom israelischen Geheimdienst angeworben, weil sie von Hagen persönlich kennt und ihn – trotz eines plastisch-chirurgischen Eingriffs – zu identifizieren vermag. Sie sei in der Lage, ihn zu riechen, so Margit, und sie würde nicht ruhen, bis ihr Folterer sich vor Gericht verantwortet habe. Die sich in der Altiplano-Hochebene befindende Hauptstadt La Paz liegt auf etwa 3500 Metern über dem Meeresspiegel in den Anden. Vor dem eindrucksvollen Panorama des schneebedeckten Berges Illimani steigen die Kutschers in die weltbekannte Gondel Mi Teleférico. Sofort nickt Margit den Mossad-Agenten zu, die hinter von Hagen einsteigen. Der Eugeniker und Euthanasie-Verbrecher trägt einen beigen Leinenanzug und einen tief ins Gesicht gezogenen Hut. Obwohl er sein operiertes Antlitz hinter einer Sonnenbrille verbirgt, ist sich Margit sicher. Ohne Gegenwehr lässt sich von Hagen abführen.      

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