Flamenco Gitano (Kurzerzählung)

Auch zu meiner Erzählung „Flamenco Gitano“ hat der großartige Künstler Jürgen Fiege eine Illustration mit dem Titel „An der Grenze“ angefertigt. Es ist mir eine Ehre, diese zu teilen! Mein Text wird in Bälde erscheinen und ist an dieser Stelle schon einmal zu lesen…

Flamenco Gitano

Die trockene, stechende Hitze Andalusiens tut mir bei jedem erneuten Besuch gut, doch in Manuels verwildertem Garten finden sich auch genügend Schattenspender. Scheinbar herrenlose Hunde laben sich am saftigen Fruchtfleisch von stacheligen Kakteen. Strelitzien und Bananenstauden säumen einen mit zersprungenen Steinplatten angelegten Pfad, der in den hinteren Teil des schier grenzenlosen Grundstücks führt, wo Manuel mit seinen Kindern Alberto und Elsa beim traditionellen Tinto de Verano, Rotwein mit Limonade, sitzt. Der legendäre cantaor Manuel Agujetas nutzt jede Gelegenheit, um seiner Tochter und dem Sohn die Sangeskunst nahezubringen, die er selbst mit der Muttermilch aufsog, in der einem Konservatorium gleichenden Schmiede seines Vaters. Angeblich in Jerez de la Frontera geboren, wächst mein Gastgeber unter Flamencosängern auf und erlernt die hohe Kunst, während Hufeisen für die königlich-andalusische Reitschule geschmiedet werden. Ich selbst, dreißig Jahre jünger als der mittlerweile weltbekannte Künstler, lernte Manuel, der auch gitano genannt wird, in Paris kennen, wo er im Jahre 1966 ein Live-Album aufnimmt. Den einer Dynastie von stolzen Sinti entstammenden Nonkonformisten, dessen Gesang als lautliche Alchemie bezeichnet wurde, weil in seinem Rahmen dem Weinen ähnliche, gutturale Klänge jenen typischen, in Flamenco-Texten versinnbildlichten Schmerz ausdrücken, vermochte ich zu einer Reihe von Konzerten nach Deutschland zu locken. Aufgrund von familiären Verbindungen trat Agujetas mehrmals in meiner Geburtsstadt Münster auf, die ihm zur zweiten Heimat wurde. Als ich herausfand, dass der geniale Sänger, über den weder der genaue Ort noch das Jahr seiner Geburt bekannt sind, mit mir verwandt war, besuchte ich ihn jedes Jahr auf seinem liebevoll vernachlässigten, von wild wuchernden Pflanzen sowie frei umherlaufenden Hunden und Katzen beherrschten Bauernhof im Hinterland der Bucht von Càdiz. Mein Vater und die in seiner Linie stehenden männlichen Ahnen, ursprünglich aus Indien stammende Sinti, wie die Familie Agujetas, sind, wie auch ich selbst, begabte Musikanten. Wenn wir in Andalusien bei Manuel zu Gast sind, oder die Agujetas´ in Münster, frönen wir oftmals nächtelang der Flamencokunst. 

https://fjart123.wordpress.com/

Hinterlasse einen Kommentar